Geflammt in zwei Neigungen

Der Eichstätter Dom hat schon viel gesehen. Seit dem 8. Jahrhundert wurde an ihm gebaut, umgebaut, saniert, renoviert und modernisiert. Nun ist er einmal mehr in seiner Geschichte ein Tummelplatz der Handwerker. Seit der letzten Instandsetzung waren 50 Jahre vergangen, deshalb finden seit 2019 umfassende Sanierungsarbeiten im und am Dom statt. Die Maßnahmen sind in vier Bauabschnitte eingeteilt. Zunächst stand die Sanierung des Westchores an. In dieser Zeit konnte die Kirche noch genutzt werden. Doch mit Beginn des nächsten Bauabschnitts musste der Dom komplett geschlossen werden: Die Arbeiten an Lang- und Querhaus waren umfangreich und dauerten über ein Jahr. Hierzu gehört auch die Sanierung des Dachstuhls und die Neueindeckung der gewaltigen Dachflächen. Ab 2022 wird die Restaurierung des Ostchores im Fokus stehen, zuletzt werden die Türme mit der Kapitelsakristei im Jahr 2023 folgen.

 

700 Jahre alter Dachstuhl

Der Dom weist eine lange Baugeschichte auf. Die ältesten Mauerabschnitte stammen aus dem 8. Jahrhundert. Das hochgotische Längsschiff hat seine Ursprünge im 14. Jahrhundert, nach und nach wurden die Seitenchöre ergänzt. Aus Konstruktionssicht ist das architektonische Ideal des nach oben strebenden Raumes auf gering dimensionierten Pfeilern heute ein Problem: Die Statik ist durch unterschiedliche Drucke in den einzelnen Kreuzrippengewölben aus dem Lot geraten – die Pfeiler des Mittelschiffs drücken nach außen. Das mittlere Gewölbe überträgt mehr Horizontalkräfte auf die Pfeiler als die kleineren Seitengewölbe. Dieses Ungleichgewicht zeigt sich in deutlichen Rissen in der Konstruktion, die einer umfassenden Sanierung und Verfüllung bedurften.

 Nachdem Wände und Gewölbe im Innenraum des Doms gereinigt waren und einen neuen Anstrich erhalten hatten, begannen auch die Arbeiten an der Dachkonstruktion. Rund 700 Jahre hatte der hölzerne Dachstuhl stets sein schützendes Dach über den Dom gebreitet. Nun benötigte auch er ein Update. Viele Balken der Konstruktion waren morsch und mussten durch neues Holz ersetzt werden. Eine Aufgabe, die für die Zimmerer auch eine Reise durch die Geschichte ihres Handwerks war, denn der genaue Blick auf die Konstruktion legte offen, dass im Laufe der Zeit unterschiedliche Konstruktionsdetails zum Einsatz kamen. So zeigte sich deutlich, dass auch das Holzbauhandwerk steten Entwicklungen unterlag und jede Zeit ihre eigene Art hatte zu arbeiten.

Eine weitere Aufgabe der Zimmerer bestand darin, den abgesunkenen und in Schräglage geratenen Dachstuhl wieder in Position zu bringen. Die Anhebearbeiten erfolgten in mühevoller Kleinarbeit und unter hohem Kraftaufwand. Mit einem Trick verringerten die Zimmerer die Last auf den Dachstuhl, um ihn besser in die richtige Position bringen zu können: Sie deckten das Dach teilweise ab, mussten im Gegenzug aber mit Wetterschutzplanen sicherstellen, dass kein Wasser in das Bauwerk eindrang.

Oben Biberschwanzziegel, unten Glattziegel, beides Sonderanfertigungen. (Foto: Creaton GmbH)

Die gewaltigen Dachflächen haben unterschiedliche Neigungen und Eindeckungen. Im steileren Teil des Dachs ist ein Biberschwanzziegel verbaut, in den flacheren, unteren Bereichen ein Glattziegel.  (Foto: Creaton GmbH)

Biberschwanz und Glattziegel

Die Sanierung endete jedoch nicht am Dachstuhl, auch die Eindeckung musste erneuert werden. Das Dach des Langhauses des Eichstätter Doms machte die Wahl der Dacheindeckung nicht ganz einfach. Da es eine durchaus unübliche Form und verschiedene Dachneigungen aufweist, musste zu unterschiedlichen Materialien gegriffen werden – stets in Abstimmung mit den Denkmalpflegern. Was von der Ferne wie ein großes Satteldach über dem Hauptschiff aussieht, erweist sich bei näherer Betrachtung als spannende Konstruktion. Vom First ausgehend verlaufen beide Dachflächen zunächst in gleicher, steiler Neigung von 60°. Die nach Norden verlaufende Dachfläche ändert dann jedoch an einem höheren Punkt als die Süddachfläche ihre Dachneigung und verläuft mit einer Neigung von nur 27° weiter bis zur Traufe. Weiter unten ändert auch die Süddachfläche ihre Neigung auf 27°.  „Diese relativ flache Dachneigung erfordert einen anderen Umgang mit der Eindeckung als die höher gelegenen, steileren Bereiche“, berichtet der Dachdeckermeister Achim Metzler. „In enger Abstimmung mit allen Beteiligten fiel die Wahl auf den Biberschwanzziegel Klassik naturrot geflammt für die steilen Dachflächen. Die flacheren Bereiche wurden mit dem Glattziegel Domino naturrot geflammt eingedeckt“, weiß der Dachdeckermeister von der Dachdeckerei Zorbauer in Lützen zu berichten. Auch die Unterkonstruktion ist unterschiedlich gewählt. Während auf dem Langhaus Unterspannbahnen zum Einsatz kamen, wurde beim Querhaus aus Denkmalschutzgründen darauf verzichtet.

Mehrere Musterziegel gebrannt

Die gewählten Ziegel sind eine Sonderanfertigung. Dies ist in den Auflagen des Denkmalschutzes begründet, um ein möglichst ähnliches Erscheinungsbild zur Vorgängereindeckung zu erzielen. Um den richtigen Farbton zu bestimmen, waren mehrere Musterbrände vonnöten. Bis Einigkeit bei allen Beteiligten herrschte, brauchte es mehrere Änderungsrunden, da die Ziegel in ihrer Farbgebung in den ersten Versuchen zu dunkel waren. Schlussendlich mussten sogar Ziegel nachproduziert werden, da für die Sanierungsarbeiten am Querhaus ungeplant mehr Dachdeckung aufgenommen und die Kehlen mit saniert werden mussten. Entgegen der ursprünglichen Planung für diesen Bauabschnitt wurden so gut 150 Quadratmeter mehr neu eigendeckt.  

Exponierte Lage

Der Biberschwanz kam auch auf den Dachflächen des Querhauses zum Einsatz. Entsprechend den Produktvorgaben wurde die Lattung angepasst und in den steileren Bereichen mit geringerem Abstand versetzt. 

Die exponierte Lage des Doms warf natürlich auch Fragen zu Windsog- und Schneelastberechnung auf. Die Berechnungen ergaben, dass First und Ortgang vermörtelt werden mussten, um dem Windsog standzuhalten. Rund 600 Laufmeter Schneefanggitter wurden mehrreihig und im Abstand von rund fünf Metern installiert, um die weiße Pracht sicher am Dach zu halten. In den mit dem Glattziegel gedeckten Bereichen, der immerhin rund 2000 Quadratmeter Dachfläche bedeckt, wurden zusätzlich zwei Schneenasen pro Quadratmeter angebracht.

Das Querhaus jedoch hielt für die Dachprofis noch einige Probleme parat, denn hier wurden zusätzliche Brandwände hochgezogen. Da die Dachkonstruktion jedoch sehr stark arbeitet, konnte diese nicht einfach direkt an die Brandwände angeschlossen werden. Um zu verhindern, dass der Mörtel der Wände reißt, mussten an einigen Stellen Stahllatten eingezogen werden. So kann die Dachkonstruktion arbeiten und bleibt flexibel.

Oben Biberschwanzziegel, unten Glattziegel, beides Sonderanfertigungen. (Foto: Creaton GmbH)

Aus der Luft lässt sich das Ausmaß der Flächen erahnen. (Foto: Creaton GmbH)

Kein Kran erlaubt

Die umfangreichen Arbeiten an der riesigen Dachkonstruktion erforderten viel Materialbewegung. Doch der Dom und sein Baugrund machten es den Handwerkern schwer, das benötigte Material auf das Dach zu schaffen. Zum einen befinden sich wieder verfüllte archäologische Fundstätten unmittelbar rund um den Dom, zum anderen ist der Baugrund nicht ausreichend belastbar, um die Punktlast eines großen Krans bei Wind sicher abzuleiten. Auch eine Bohrpfahlgründung wurde von der Denkmalpflege nicht genehmigt. „Als einzige Möglichkeit blieb uns, alle Materialien mit kleinen Bauaufzügen hinauf zu transportieren“, erklärt Achim Metzler. „Im Gebäude haben wir dann alles von Hand wie im Mittelalter getragen oder auf Rollwagen weitertransportiert. Auf dem Dach gab es dann noch einmal einen kleinen Aufzug“, macht er deutlich, wie hoch der Aufwand war. Das zeigte sich auch im Zuschnitt der Dachziegel. Zwischen Lang- und Querhaus gibt es zahlreiche Anschlüsse. Da sie als Nockenkehlen ausgebildet werden sollten, mussten viele Ziegel direkt auf dem Dach zugeschnitten werden.

  

Regenrinnen wie Badewannen

Aus den großen Dimensionen der Dachflächen folgt auch, dass andere Bauteile in deutlich größerem Maßstab ausgeführt werden müssen als „normal“. Ein Beispiel dazu sind die Regenrinnen. Um die gewaltigen Wassermassen abzuführen, braucht es Rinnen von größtmöglichem Durchmesser – in diesem Fall 50 cm. 

„Die Regenrinnen sind so groß wie Badewannen“, lacht Achim Metzler. „Sie mussten noch einmal extra mit Stäben im Wulst stabilisiert werden“, erklärt er. Auch die Verankerung musste über das übliche Maß hinaus extra stabil ausgeführt werden. So wurden gedrehte Übereisen aus Edelstahl in den Rinnenwulst eigehängt und an den Sparren befestigt.

  

 Neuer Raumeindruck

Wer den Dom nach der Sanierung betritt, dem werden wohl zuerst die hellen, frisch getünchten Wandflächen ins Aug fallen. Doch der Innenraum wird noch aus einem anderen Grund neu erstrahlen: Auch das Lichtkonzept wurde verändert. Bisher gab es nur Licht „von oben“. Das neue Lichtkonzept sieht nun vor, mit Licht „nach oben“ auch die Gewölbe und die Seitenkapellen in Szene zu setzen und so einen völlig neuen Raumeindruck zu erzeugen. 

Steckbrief

Objekt/Standort
Sanierung des Doms in Eichstätt

Verarbeiter
Zorbauer Dachdecker GmbH, 06686 Lützen, www.zorbauer-dachdecker.de